Rellinger Kirche


Ein repräsentativer Kirchenbau war gewünscht, damals vor zweihundertfünfzig Jahren, eine Kirche für die ganze Region, für Rellingen, Pinneberg, Appen, Kummerfeld, Halstenbek und alle Orte rundum. Eine Kirche sollte gebaut werden für Predigt und Gottesdienst, für Orgel und Gesang, eine protestantische Kirche, hell und weit und offen. Eine Kirche sollte entstehen, die nicht schwermütig im Halbdunkel Geheimnisse verbirgt, sondern in der alle Menschen gleich weit entfernt das klare, reine, unverfälschte und öffentliche Wort Gottes hören können, verstehen können, fassen können.

Und so entstand nach dem Abriss der alten Kirche aus romanischer Zeit 1754 in zwei Jahren Bauzeit bis 1756 die heutige Rellinger Kirche, erbaut vom Architekten Cai Dose, mitfinanziert und anschließend nie besucht vom dänischen Königshaus. Eine helle, protestantische Kirche entstand, in der alles auf die Predigt hin ausgerichtet ist. Die Kanzel steht in der Mitte der Ostwand, Orgel und Altar dienen ihr; Musik hilft dem Wort in die Herzen der Menschen. Gebet zu Gott, Abendmahl und Liturgie sind der Predigt deutlich untergeordnet.

Ein achteckiger Kirchenbau ist entstanden, architektonische Annäherung an den Kreis, wo alle Punkte gleich weit entfernt sind von der Mitte. Alle, die in dieser Kirche Gottesdienst feiern, sind gleich weit entfernt von der Mitte, von Gottes Wort, von seiner Verheißung eines offenen Himmels, der im Dach der Laterne dargestellt ist, mit Engeln und dem Auge Gottes. Gottes Geheimnis ist öffentlich, sichtbar, allen zugänglich, schrankenlos: Gott öffnet den Himmel seiner Liebe über uns. (Allerdings war die Gesellschaft des 18. Jahrhunderts immer noch eine Gesellschaft unterschiedlicher Freiheit für verschiedene Menschen: Nicht nur waren die Plätze in der Kirche Eigentum derer, die dafür zahlen konnten; die auf der zweiten Empore sitzen mussten, die Abhängigen und Landarbeiter, die sahen den offenen Himmel nicht, so gleich waren die Menschen damals denn doch noch nicht.) Alles in der Kirche strebt nach oben, außen das doppelt gewalmte Mansardendach, die Dachgauben, die in der doppelten Walmung so angeordnet sind, dass sie Dreiecke bilden, den Blick nach oben lenken.

Die Schwere der Wände aus Backstein sucht Dose durch die Auflösung der Fläche in verschiedene Ebenen zu mildern; und doch wirkt die Kirche immer noch schwer, drückt mit ihrem Gewicht auf die Erde zurück, was sonst zu leicht in den Himmel abheben würde. Innen im Kirchraum ist der Eindruck leichter; hier verschwimmen die Grenzen der Wirklichkeiten, geht alles ineinander über, drängt alles nach oben, in die Weite des offenen Himmels, leuchtet der offene Himmel den Kirchraum aus: Aus den Fenstern der Laterne bekommt der Raum das meiste Licht; und zur Laterne öffnet sich der Raum, die zweite Empore tritt zurück und verläuft versetzt zur ersten Empore. Der Raum wird weit, öffnet sich zur Laterne, zum Himmel, zum Auge Gottes hin.

Friedrich V, dänischer König und Herzog von Holstein, wünschte sich einen Turm. Und so bezog Cai Dose den Turm des Vorgängerbaus in seinen Neubau ein und schuf als Verbindung zwischen Turm und Kirchengebäude ein Mittelstück, das beide verbindet. Der Turm ist 57,5 Meter hoch, statisch übrigens gerade und wirkt durch die Drehung des Turmhelms aus Zedernzimbeln optisch schief. (Dass der Architekt sich deswegen erhängt habe, ist und bleibt eine Legende; eine solche Drehung kommt bei Türmen solcher Konstruktion wie in Rellingen aufgrund Drehwüchsigkeit des Kaiserstiels häufiger vor.) Der Kirchenraum innen ist durchgehend mit Holz gestaltet, mit Ausnahme der tragenden Säulen und des Altarsteins.

Alle Skulpturen in der Kirche sind aus Holz, das Deckengewölbe, die Wand mit Altar, Kanzel und Orgelrahmen, die Bänke, die Emporenbrüstungen und die Logenwände ebenfalls. Was wie Marmor aussieht, ist Malerei, hier wirkt der Illusionismus des Spätbarock, des Rokoko: Alles ist noch einmal anders, als es scheint, die Wirklichkeiten verschwimmen, nichts ist eindeutig, alles wandelbar. Wirklichkeiten gehen ineinander über, tauschen sich aus, spiegeln und bestimmen einander. Dazu hilft auch die rocaille, das Muschelwerk, verwoben mit Blüten und Astwerk, eine Schmuckform, die alle Formen und Grenzen sprengt, z.B. oben an den Bilderrahmen bei der Darstellung von Auferstehung und Himmelfahrt Jesu rechts und links neben dem Altar.

Architektur, Plastik, Malerei, Wirklichkeit derer, die in diesem Raum Gottesdienst feiern, nichts ist mehr durch klare Grenzen getrennt, alles ist miteinander verwoben, verwachsen, Grenzen sind aufgebrochen, aufgelöst. In allem verwebt sich Gottes offener Himmel mit dem Leben der Menschen, die in diesem Raum reden, singen, schweigen, beten. Und so predigt auch der Prediger, die Predigerin, nicht allein, sondern umgeben, flankiert von Mose zu seiner rechten Seite, zu seiner linken vom Evangelisten Johannes. Gottes klarer Wille, niedergelegt in den Zehn Geboten, als Liebe zu allen Menschen bezeugt in der Geschichte Jesu, festgehalten etwa im Evangelium des Johannes, darin eingebettet, von dieser Wirklichkeit getragen, geschieht Predigt als gegenwärtige Rede von Gott unter dem klaren, hellen, sichtbaren Erweis der Wirklichkeit Gottes im offenen Himmel, der Weite atmet und Licht und Leben. Die Emporen, nötig um viele Menschen in diesem recht kleinen Kirchraum unterzubringen, schlucken das Licht, das die großen Fenster eigentlich in den Raum lassen. So wurde die Laterne notwendig, um dem Kircheninnern Licht zu geben. Das Licht kommt eben nicht einfach von irgendwoher, sondern von oben, von dort, wo der Himmel sich um das Auge Gottes herum öffnet. Horizontal sind die Emporen geschichtet, durchbrochen aber von der vertikalen Anordnung von Altar, Kanzel und Orgel, einer typischen Gestaltung in protestantischen Kirchenbauten des 18. Jahrhunderts.

Die soziale Schichtung dieser Zeit wird geöffnet, der offene Himmel zieht ein. Grenzen werden gesprengt, aufgebrochen, akzeptiert zwar, und bleiben doch nicht ungebrochen selbstverständlich. Italiener waren im Innenraum der Kirche am Werk, das Brüderpaar Martini, die das Stuckwerk gestalteten, die Bilder der Laterne, die Altarbilder. In der Kirche beginnt der dänisch-norddeutsche Kirchenbau zu leuchten, getragen von südeuropäischer Leichtigkeit der Gemälde und Stuckornamente. Was außen nur halb gelang, wird innen wahr: Himmel und Erde berühren sich, und alles umleuchtet das Spiel von Form, Farbe und Licht. Es gibt in der Rellinger Kirche eigens Königslogen mit den Initialen JM und RFV (Juliane Marie und König Friedrich V). Doch nie waren sie in Rellingen.

Cai Dose machte auch klar, wem die Kirche eigentlich gehört: Im Süden und Norden findet sich in den Portalen über den Türen das Auge Gottes mit dem hebräisch geschriebenen Gottesnamen. Gott gehört die Kirche - und nicht dem König, Gott und allen Menschen, die in diesem Kirchraum erfahren: Gottes Wirklichkeit öffnet sich klar und hell, gleich nahe allen Menschen, spürbar in der Gestalt der Kirche, hörbar in der Predigt, die dort geschieht, mit Worten, Gesang und im Gebet.


Text: Pastor Ingo Zipkat

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